9. Etappe: Hunde die bellen, beissen nicht

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Freitag, 29.10.2021

von Ericeira nach Lissabon. 78 km.

https://www.komoot.de/tour/541984867

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Ich hatte mich von meinen Bekanntschaften im Hostel verabschiedet. Es tat gut, sich zu unterhalten. Wenn man in Hostels übernachtet, lernt man meistens Leute kennen. Für mich ist das eine Motivation zu reisen. Velofahren, schöne Landschaften und Kultur sind nicht der einzige Grund. Schöne Ferien hängen nicht zuletzt von den Bekanntschaften ab.

Ich fuhr Richtung Lissabon los. Auf Nebenstrasse zuerst, dann auf einem Wanderweg einem Flüsschen entlang. Es war idyllisch. Ich war abseits und vermutlich sind noch nicht viele hier durchgereist. Ich war in einem kleinen Tal. Ein paar Bauernhäuser hin und da, Ackerbau, Hunde die bellten. 

Es gab unglaublich viele Hunde in Portugal, nicht in den städtischen Orten, aber auf dem Land. Fast jedes Haus hatte einen Hund, oft sogar zwei oder noch mehr. Wenn ich an Häusern vorbei fuhr, dann gab es ein fürchterliches Bellen von vielen Hunden, die sich gegenseitig anfeuerten. Jedes Haus in Portugal war mit einem Zaun oder einer Mauer geschützt. Die Hunde könnten nicht auf die Strasse laufen. Die Hunde bellten auch nachts, zu jeder Uhrzeit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Bewohner das Bellen ignorieren konnten und der Schlaf dadurch nicht unterbrochen würde. Das Rätsel war, was diese Hunde überhaupt für einen Nutzen hatten. Klar war: es waren keine Haustiere, sondern Wachhunde. Ich hatte die ganze Reise keine Angst, dass mir etwas geklaut wurde oder noch krasser, dass ich selbst in Gefahr war. Ich hatte mich seit ich portugiesischen Boden berührt hatte, immer sicher gefühlt. Vor wem sollten diese Hunde schützen? Ich war froh, dass eine Mauer zwischen mir und den Hunden existierte. Ich nehme an, dass die Hunde vor langer Zeit die Aufgabe hatten, die Familie, Hab und Gut zu beschützten. Nun waren sie aber nur noch Tradition wie eine Kirchenglocke, die auch in der Nacht den Menschen noch die Uhrzeit verkündet und ihnen den Schlaf raubt.

Auf der einmonatigen Reise wurde ich mehrmals von Hunden, die nicht angekettet waren oder ein Schlupfloch unter dem Zaun gefunden hatten oder ihre Besitzer einfach keine Kontrolle über sie hatten, verfolgt oder angegriffen. Sie kamen meinen Beinen jeweils sehr nahe und bellten und fletschten ihre Zähne. Ich radelte schneller. Heute passierte es in diesem schönen grünen Tal mit einem Fluss abseits der Zivilisation. Es waren zwei riesengrosse Hunde. Mein Herz schlug höher. Meine Waffe die ich dabei hatte, war mein Gürtel mit einer Metallschnalle, den ich wie immer an den kurzen Jeans trug und ein Messer, das nicht griffbereit lag. Später hatte ich manchmal auch Steine in meinen Taschen und einen Holzstab, den ich auf das Lenkrad legte, dabei, wenn ich auf abgeschiedenen Wegen unterwegs war. Als ich weit genug von ihrer Herrin war, drehten die Hunde ab und ich fuhr davon.

Es war schwierig abzuschätzen wie weit die Hunde gingen. Man sagt, dass Hunde die bellen, nicht beissen. Das hatte auch gestimmt. Wenn ein Hund aber mit beissen beginnt, dann werden die anderen auch damit anfangen. Nachts wäre die Hemmschwelle für einen Angriff kleiner gewesen. Tagsüber hätte ich mich gegen einen oder zwei Hunde verteidigen können. Ich hatte es vermieden, so gut es ging, nachts zu fahren. Fazit: bellende Hunde waren lästig und einschütternd. Es gab jede Menge in Portugal.

Die letzten zwanzig Kilometer vor dem Zentrum von Lissabon waren mühsam. Mit dem Velo war es schwierig einen Weg zu finden, weil es fast nur Schnellstrassen gab, wo Velofahren verboten war. Ich hatte mich auch zuerst nur auf meinen Orientierungssinn verlassen und war ohne elektronische Navigationshilfe in eine Himmelsrichtung gefahren, wo ich das Tagesziel vermutete. Mein Akku meines Handy war fast leer. Es regnete in Strömen, aber es war mir nicht kalt. Irgendwann hatte ich es bis zum Meer geschafft. Es wurde langsam dunkel. Ich bin die letzten zwanzig Kilometer mit dem Zug gefahren.

Ich hatte auf Booking.com ein Bett in einem Hostel im Zentrum von Lissabon gebucht. Das Velo aber hatte keinen Platz und ich musste ein Lager finden, das mich zehn Euro am Tag gekostet hat. Immerhin hatte ich mein Velo nicht über Nacht auf der Strasse stehen lassen müssen.

In Lissabon war ich vor fünfunddreissig Jahren zum ersten Mal mit einem Freund auf Interrail-Reise.



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